Zur Gründung

LEHRHAUS   INNSBRUCK
 
Das jüngste Kind am Sedertisch spricht das מָה נִשְתָנָה- ma nischtana (was zeichnet diese Nacht aus...?) und eröffnet hiermit die große rituelle Erzählung über den Auszug des Volkes Israel aus Ägypten. Dieser Gesang zu Beginn des Pessachabends weist uns auf den Wert des Fragens hin. Die Frage wird hier gleichsam zur Wiege der jüdischen Identität. Wer nicht zu fragen versteht hat nicht verstanden. Dies ist eine wesentliche, nur scheinbar paradoxe Grunderfahrung talmudischen Lernens.

Der בֵּית הַמִדְרָש- bejt ha´midrasch (darasch heißt in der Tora suchen), das "Haus des Forschens" in der Lehre (Talmud-Tora) ist zumeist dem - בֵּית הַכְּנֶסֶת bejt ha´knesset, dem "Haus der Versammlung" untrennbar angeschlossen. Eine Synagoge ohne gemeinsam Lernende erfüllt ihren Sinn nicht. Gemeinschaftliches Lernen ist eines der wesentlichen Ideale jüdischer Arbeit an der Lehre, der Tora. Weisheit kann nur gemeinsam errungen werden, wie es im Talmud heißt: "Wer ist weise? Wer von jedermann lernt". Und das Lehren ist so gesehen eben ein Teil des Lernens. "...wer noch etwas für das Judentum tun will, lerne und helfe lernen, in jedem Haus, jedem Dorfe, jeder Stadt ..." Die große Sorge um den Verlust der jüdischen Lehre ist in diesem Aufruf des großen Rabbiners Schimschon Raffael Hirsch unüberhörbar. Diese war, wie wir heute aus der seinem Wirken nachfolgenden Zeitgeschichte wissen, durchaus begründet.

All das oben Beschriebene gehört zu den religiösen Grundlagen jeder jüdischen Bildungsarbeit. An dieser Stelle soll klar gesagt werden, dass keine/r der Initiator/innen des Vereins "Jüdisches Lehrhaus Innsbruck" zum Kern der "frommen Fragenden" gehört, denn keine/r von uns hat eine systematische religiöse Ausbildung genossen. Dies jedoch mindert nicht die Intention, in Innsbruck jüdisches Lernen - durchaus auch im Sinne des Religionsphilosophen Franz Rosenzweig - zu verwirklichen. Dieser gründete 1920 in Frankfurt das "Freie Jüdische Lehrhaus" und transformierte den Gedanken des bejt ha´midrasch in einen frei zugänglichen Ort für Suchende aller Richtungen, insbesondere der assimilierten Juden und Jüdinnen, unabhängig von ihrem Bildungsgrad. Diese Volkshochschule - ein Ort der "Dissimilation", wie er es nannte - entwickelte sich zu einer der modernsten im deutschsprachigen Raum. Gelernt wurde in gemeinschaftlicher Arbeit, die Lernorte waren variabel. Das Lehrhaus hatte nie ein Haus im materiellen Sinne, dafür aber Dozent/innen (Helfer des Lernens), deren Bedeutung aus unserer Rückschau unvergleichlich war. Da waren Martin Buber, Bertha Pappenheim, Rabbiner Leo Beck, Gershom Scholem, Erich Fromm und viele andere.
 
Das Jüdische Lehrhaus Innsbruck bezieht sich also durchaus unbescheiden auf zwei große Vorgaben: den bejt ha´midrasch der religiösen Tradition und das Freie Jüdische Lehrhaus Frankfurt des Franz Rosenzweig.
Wir, die wir unsere Zelte in den "Vorvorgärten" des Judentums aufgeschla-gen haben, wissen selbstverständlich, dass unsere Wünsche über längere Zeit mächtiger bleiben werden als ihre Verwirklichung. Dennoch ist es nach beinah achtzig Jahren des Stillstandes jüdischen Lernens in Tirol an der Zeit, die Arbeit wiederaufzunehmen. Seitdem Elimelech Rimalt, der letzte Rabbiner von Tirol und Vorarlberg, das Land 1938 verlassen musste, war ein gemeinschaftliches jüdisches Lernen in Tirol nicht mehr möglich. Rimalts Verdienste um die Jüdische Gemeinde in Innsbruck und besonders um das Land Israel zu gegebener Zeit darzustellen und zu würdigen, wird ebenfalls Teil der Bemühungen dieses Vereines sein.

Das Jüdische Lehrhaus Innsbruck will im Bewußtsein obgenannter Vorgaben Bildungsarbeit auf allen Gebieten der jüdischen Kultur leisten: Religion, Sprache, Philosophie, Geschichte, Kunst und Gesellschaft.
Themenstellungen hierzu zu finden und daraus ein lebendiges Programm zu gestalten, gehört ebenso zu den Aufgaben des Vereines, wie die Kontaktaufnahme mit geeigneten Referent/innen. Zusätzlich zu regulär stattfindenden Studien wollen wir mutig und auch selbstkritisch jüdische Standpunkte zu aktuellen Themen ausloten. Entsprechend alter jüdischer Tradition beabsichtigen wir, geografische Grenzen zu überschreiten und Kontakte über Tirol und Vorarlberg hinaus zu knüpfen (Wien, Israel, Deutschland, Italien, Schweiz, etc.). Das Lehrhaus Innsbruck will Begegnungsort sein für religiöse und säkulare Personen gleichermaßen.
 
Unser Emblem ist das Bild des  עֵץ הַדָעָת - ez ha´daat, des Baumes der Erkenntnis, der achtzehn Früchte trägt (das Wort "Leben", chaj, bildet die Zahl achtzehn) und die Flammen der Menora hält.

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